Der alte Kindergarten

Aus der Festschrift "1853-1978 - 125 Jahre Kindergarten Brake"
von Günter Porst

Der alte Kindergarten

125 Jahre Kindergarten in Brake

Die Entstehung des Kindergartens, oder wie es damals auch hieß, der Kleinkinderschule oder Kleinkinderbewahranstalt in Brake ist im Zusammenhang mit der gesamten Armenpflege in der Dorfschaft zu sehen.

Armenpflege war in früheren Jahren fast die alleinige Angelegenheit der Kirchen, jedoch auch höher gestellte Persönlichkeiten beteiligten sich hieran. In Brake war solch eine Persönlichkeit der Amtmann Schlütter, der solch eine Stiftung tätigte, diese Stiftung ist erst in jüngster Vergangenheit aufgelöst worden, alten Einwohnern von Brake ist der Begriff "Schlüttersche Stiftung" sicher noch geläufig.

Im Jahre 1833 hatte der Amtmann Schlütter eine Zupflichtstrafe von 1.000,- RM zu zahlen, denn der unverehelichte Amtmann Schlütter hatte einen Sohn. Dieses Kapital wurde mit der bereits bestehenden Colbrunnschen Stiftung vereinigt zum Zwecke der Errichtung einer freiwilligen Arbeitsanstalt, in der alten und gebrechlichen Leuten Licht, Wärme, Brot und Gelegenheit zur Arbeit gegeben wurde. Die Arbeitsanstalt stand unter der Aufsicht des fürstl. Verwaltungsamtes, wie bis 1849 das gesamte Armenwesen in Brake vom Amte beaufsichtigt wurde.

Die freiwillige Arbeitsanstalt florierte, machte Gewinne, ihr Vermögen wuchs. Regierungsrat Friedrich-Wilhelm Wippermann (1818 Nachfolger von August Rodewald, der in verwandschaftlicher Beziehung zum Sup. Rohdewald stehen soll, gestorben 1851) berichtete am 7. Sept. 1848 in einem Schreiben an hochfürstl. Regierung über die Umstände, die eine Überschußerzielung ermöglichten. So schrieb er: "Den Überschuß der Rechnung der freiwilligen Arbeitsanstalt verdankt man höchst zufälligen Umständen.

  1. fürstl. Regierung hat auf öffentliche Kosten vorerst in Brake eine Spinnschule etabliert
  2. der Werkmeister bei derselben besitzt als Eigentümer Lokalitäten, welche dafür, zugleich aber auch
  3. für die Einrichtung einer Arbeitsanstalt passen
  4. er und seine Ehefrau haben Geschick und Neigung zur Beaufsichtigung dieser Institute,
  5. die, da sie in eigenem Hause sind, in den eigenen häuslichen Geschäften nicht sehr beschränken."

Da es in dem Schreiben um die Verwendung der Überschüsse geht, warnt er vor weiteren Ausgaben, z,B. wie gefordert, für die Unterstützung der Kochanstalt, die jährlich 40,- RM aus den Mitteln der Arbeitsanstalt erhalten sollte. Er fordert, Rücklagen zu bilden, um gegen Ungewißheiten gewappnet zu sein, insbesondere, wenn die günstigen Umstände wegfallen könnten. Und er fordert die Erweiterung der Arbeitsanstalt um einen Kindergarten.

"Wenn es deshalb jetzt in Wahl steht, entweder mit für den Augenblick entbehrlich scheinenden Mitteln dem Proletariat mehr Hoffnung auf Unterstützung zu geben, oder solche auf dauernde Erwerbung eines zur Beförderung des Fleißes dienenden Lokals zu verwenden, das mit einer Kinderbewahranstalt verbunden, Eltern in Stand setzt, ohne Besorgnis ihrer Arbeit nachzugehen, deren Kinder aber durch frühe Anregung zur Reinlichkeit, Ordnung, guter Gesinnung und Fleiß sie zum künftigen Fortkommen zu befähigen, so kann die Entscheidung wohl nicht schwer sein". Die hochf. Regierung entschied sich im Sinne Wippermanns, ohne jedoch auf die Kleinkinderbewahranstalt einzugehen.

Im Jahre 1849.hatte ein Wechsel an der Spitze des örtlichen Armenwesens stattgefunden. Pastor Rohdewald hatte diese Aufgaben vom Amt übernommen.

Weitere Stiftungen mehrten das Vermögen der freiwilligen Arbeitsanstalt, so die der Frau Conduktorin Schlüter zu Kuhlenfeld, die ihrem Geburtsort Brake die Summe von 1.000,- RM schenkte unter der Bedingung, diese Summe zum Ankauf oder zum Ausführen (Bauen) eines Arbeitsehauses zu verwenden, und wenn es den Umständen nach sich beschaffen lasse, Kinder unvermögender Eltern bei deren Abwesenheit während ihrer T agesarbeit Aufsicht, Erziehung und Pflege fänden.

Am 12. April 1854 teilt Frau Julie Wippermann hochf. Regierung mit: "Mein verstorbener Ehemann hat mich beauftragt, nach seinem Tode an das freiwillige Arbeitshaus in Brake, als Andenken von ihm die Summe von tausend Talern preußisch Convant auszuzahlen ...".

Wie oben dargelegt, ist die Kleinkinderbewahranstalt eng mit der freiwilligen Arbeitsanstalt verbunden, allein schon aus ihrem Entstehen her. Am- 24.4.1853 war es soweit, die Einweihung der Kleinkinderbewahranstalt konnte erfolgen. Im Schlußteil seiner Einweihungspredigt geht Pastor Rohdewald auf die Notwendigkeit der Einrichtung einer Kleinkinderbewahranstalt ein, fast genau so, wie vom geh. Regierungsrat Wippermann vordem schon begründet. Rohdewald sagte: "Was dieselben für eine Aufgabe und Bestimmung haben, dies lassen sie uns schon durch ihren Namen erkennen. Darnach ist dieses eine zwiefache, Sie werden nämlich bald Bewahranstalten für kleinere Kinder, bald auch Kleinkinderschulen genannt. So sind sie auch das beides. Zunächst sind sie Bewahranstalten."

Die Unterbringung der Kleinkinderschule erfolgte ebenfalls im Colonat Nr. 19 des Colon Mense, wo auch die freiwillige Arbeitsanstalt und die Spinnschule untergebracht waren. Die Finanzierung der Anstalt erfolgte durch Schulgelder die die Kinder zu entrichten hatten. 1878, bis dahin liegen hier noch die Rechnungen vor, besuchten ca, 60 Kinder diese Kleinkinderschule. Auch Strafgelder, verhängt vom nahen Lemgoer Gericht, flossen der Anstalt zu. Und selbstverständlich kamen Mittel aus der freiwilligen Arbeitsanstalt. Kinder armer Familien fanden ebenfalls Aufnahme, jedoch mußten die Eltern sich verpflichten, die Kinder nicht betteln zu lassen. In der Liste von 1878 ist manches Mal "arm" vermerkt. 1864 war das Kapital der Arbeitsanstalt und auch des Kindergartens so weit angewachsen, daß die Stätte Nr. 104, der sogen. Bradenhof (Wiembecker Straße) angekauft werden konnte. Die Spinnschule, die Arbeitsanstalt und auch der Kindergarten fanden ihr neues Domizil.

Kindergarten ohne "Tanten"? Bis 1878 kann man hier die Leiterinnen zurückverfolgen. Vor dieser Zeit bin ich auf die Angaben Pastor Distelmeiers angewiesen. Karoline Rapp aus Köln war erste Kindertante in Brake, sie tat Dienst von 1853 - 1855, ihr folgte Auguste Henke aus Bielefeld bis 1859. Luise Dränger aus Essen war deren Nachfolgerin und versah bis 1870 in Brake ihren Dienst. Bis 1878 waren Sophie Röhrig aus Lingenbach und Wilhelmine Jasper tätig, wo letztere herkam, konnte nicht festgestellt werden. 1878 kam Eugenie Wirth aus Rhaumen Bez. Trier nach Brake. Sie erreichte es, daß ihr Gehalt auf 400,- Mark jährlich aufgebessert wurde, um, wie Pastor Goedecke schrieb, den früher verhältnismäßig oft eintretenden Wechsel zu vermeiden. Vorher betrug das Gehalt 360,- Mark im Jahr. Sie hielt es aber nur bis 1881 in Brake aus, Von 1881 - 1885 war Minna Krüger aus Lemgo "Tante" in Brake, sie heiratete 1885 und gab aus diesem Grunde ihre Stelle auf. Auf eine Annonce im "Lippischen Volksblatt" vom 29.1.1885 meldete sich "Tante" Hermine Koch aus Bad Salzuflen, dieselbe war Kindertante bis 1933 und zog dann nach Lemgo.

Durch die Wirren des 3, Reiches führte Gertrud Brink den Kindergarten, sie wurde nach dem Krieg nicht mehr eingestellt, obwohl der Kirchenvorstand sich für sie verwandte. Fehlende Qualifikation war ein Hinderungsgrund zur Wiedereinstellung.

Edith Storch übernahm den Kindergarten nach dem Krieg und stand diesem bis 1974 vor. Sie war es auch, die den Umzug ins neue Gebäude an der Gartenstraße leitete, In neuester Zeit leiteten Frau Delgado bis 1976 und Frl. Reinhardt den Kindergarten, der sich zu einem modernen Haus gewandelt hat.

Doch nun zurück zum Werdegang des Kindergartens. Im Jahre 1912 wurden die Stiftungen des Amtmanns Schlütter vereinigt, um diese besser verwalten zu können. Diese Stiftungen waren


Die Verwaltung dieser Stiftungen und die Vertretung nach außen besorgte ein Vorstand, der aus dem Pastor in Brake als Vorsitzenden, dem Gemeindevorsteher und einem von der Aufsichtsbehörde zu ernennenden Mitglied bestand. Seinerzeit war Pastor Kuhlmann Vorsitzender und August Goedecke Gemeindevorsteher. Diese Stiftung wurde am 9. August 1923 der Dorfgemeinde Brake übertragen, die damit auch alleinige Trägerin der Kleinkinderschule wurde.

Im Jahre 1937 übernahm die NSV den Kindergarten. Die Kindergartenordnung wurde der damaligen Zeit entsprechend geändert, daß nurmehr Kinder "deutschblütiger Abstammung" aufgenommen wurden.

Bei der Übernahme des Kindergartens durch die politische Gemeinde Brake im Oktober 1946 wurde auch die Kirchengemeinde Brake wieder am Geschehen im Kindergarten beteiligt. Diese Beteiligung war bis auf die Unterbrechung ab 1937 immer gegeben, denn die Ortsgeistlichen waren immer im Kindergartenrat vertreten. Im Oktober 1946 bestätigte Pastor Diestelmeier die Wahl in den Kindergartenausschuß.
"Der Bitte, das Amt anzunehmen, komme ich um so freudiger nach, als die Leitung des Kindergartens vor dem Eingriff der NSV immer in der ,Hand eines durch den Ortspfarrer geleiteten Vorstandes lag. Meine Annahme erfolgt in der Erwartung, daß die Fortsetzung der Tradition des Kindergartens die Erziehung im christlichen Geiste weiter gepflegt wird.
H. Diestelmeier, P."

Im Jahre 1969 kam der Kindergarten in die Obhut der Stadt Lemgo, die als Rechtsnachfolgerin der bis dahin selbständigen Gemeinde Brake den Kindergarten zu betreuen hat.

Günter Porst